Zukunftsfähigkeit im Handel: Flexibilität und Kreativität als Erfolgsfaktoren
Zukunftsfähigkeit im Handel: Flexibilität und Kreativität als Erfolgsfaktoren
Ein Gespräch mit dm-Geschäftsführer Christian Harms
Christian Harms ist in seiner Rolle als Geschäftsführer für das Ressort Mitarbeiter bei dm-drogerie markt für über 46.000 Menschen in ca. 2.100 Filialen und der Zentrale in Karlsruhe verantwortlich. Dort hat ihn unser Geschäftsführer Klaus Nohr getroffen.
Klaus Nohr (KN): Lieber Herr Harms, vielen Dank, dass Sie sich die Zeit genommen haben, um heute mit uns über das Thema Zukunftsfähigkeit zu sprechen. Starten wir doch einfach mal damit: Was verstehen Sie unter diesem Begriff?
Christian Harms (CH): Zukunftsfähigkeit bedeutet für mich, so zu handeln, dass unsere Handlungsoptionen immer größer werden. Aus meiner Sicht ist es wichtig, als Unternehmen flexibel zu bleiben und sich dabei nicht nur von äußeren Rahmenbedingungen steuern zu lassen. Zukunft ist zu großen Teilen gestaltbar!
KN: Betrifft das Sie als Verantwortlichen für das Ressort Mitarbeiter mehr als die Kolleg:innen aus beispielsweise der Logistik oder dem Marketing?
CH: Jede Abteilung hat ihre eigenen Herausforderungen. In der Logistik etwa sind es Benzinpreise oder der Mangel an LKW-Fahrern, während im Produktbereich ständig neue Kundenbedürfnisse auf uns zukommen. Letztlich geht es immer um Anpassungsfähigkeit. Was heute noch funktioniert, kann morgen schon anders sein. Daher müssen wir, wo möglich, flexibel agieren und kreative Lösungen entwickeln.
KN: Denken Sie, das ist vor allem für Führungskräfte wie uns möglich? Denn die meisten Menschen stecken ja in stark durchgetakteten Arbeitstagen und haben wenig bis gar keinen Spielraum für Kreativität oder den Blick über den Tellerrand.
CH: Die Frage ist doch, zu welchem Anteil habe ich die Möglichkeit, kreativ mit meiner Zeit umzugehen, und wie viel ist tatsächlich verbindlich durchgetaktet? Ich denke, wenn eine Tätigkeit wirklich derart streng getaktet ist, dass sie keine Kreativität zulässt, dann wird sie künftig sehr wahrscheinlich von einer Maschine erledigt werden.
Darum wird der Kreativanteil der Arbeitszeit tendenziell eher zunehmen. Denn das ist das, was das menschliche Gehirn kann: kreativ denken. Ich bin davon überzeugt, dass unser Gehirn noch deutlich mehr kann, als uns derzeit bewusst ist.
KN: Kreativität und Flexibilität beweisen Sie ja auch im Hinblick auf verschiedene Arbeits(zeit)modelle. Hier im Dialogicum, der dm-Zentrale, arbeiten die meisten Mitarbeitenden in Vertrauensarbeitszeit.
CH: Ja, und das funktioniert sehr gut. Wir vertrauen darauf, dass unsere Mitarbeitenden in jeder Situation das Richtige tun – sowohl für das Unternehmen als auch für sich selbst. Natürlich ist das eine Kulturfrage, aber bisher haben wir sehr positive Erfahrungen damit gemacht.
KN: Das finde ich bewundernswert. Und auf der Fläche, in den Filialen? Dort ist das sicher schwieriger umzusetzen, oder?
CH: Wir haben auch für unsere Filialteams keine starren Anweisungen. Die Mitarbeitenden wissen: Am Ende des Monats bekommen sie ihr Gehalt und die Filialen müssen während der Öffnungszeiten bedarfsgerecht besetzt sein. Das sind die Rahmenbedingungen.
Und dann geht es innerhalb der Teams darum, die individuellen Bedürfnisse der Mitarbeitenden mit denen der Gemeinschaft, also unseren Kund:innen, zu vereinen. Wir begrüßen es, wenn da kreative Lösungen gefunden werden.
KN: In Zeiten des Fachkräftemangels sind derartige attraktive Arbeits(zeit)modelle sicher von Vorteil.
CH: Wenn man die guten, die kreativen, die außergewöhnlichen Köpfe für sich gewinnen möchte, dann muss man besser sein als die anderen. Mit Arbeitszeiten von morgens um acht bis abends um acht, an sechs Tagen die Woche, ist der Handel wahrscheinlich nach der Gastronomie die unattraktivste Branche. Es sichert uns die Zukunft, hier andere Wege zu gehen. Flexible Optionen führen dazu, dass die Menschen gerne bei uns arbeiten. Und ja, das ist in Zeiten von Arbeitskräftelosigkeit ein entscheidender Faktor.
KN: Arbeitskräftelosigkeit, ist das identisch mit Fachkräftemangel?
CH: Es beschreibt meiner Meinung nach das Gleiche. Nämlich eine Situation, in der sich Menschen ihre Arbeitgeber aussuchen können, und nicht umgekehrt. Und ich finde das gut! Denn das bedeutet, dass sich die Arbeitsbedingungen langfristig für alle verbessern.
KN: Mir fällt auf: Genauso wie ich sind Sie ein Optimist. Ich erlebe häufig Skepsis, denn die Menschen denken, ich hätte eine rosarote Brille auf. Ich hebe das Gute hervor, das Mögliche, das Machbare – und ich verzichte darauf, ständig auf das Negative aufmerksam zu machen. Das heißt aber ja nicht, dass ich das Negative oder Grenzen nicht sehe.
CH: Ich finde, Optimismus wird oft missverstanden. Es geht nicht darum, die negativen Dinge auszublenden, sondern den Fokus bewusst auf das zu richten, was wir gestalten können. Ich habe kürzlich ein Zitat aufgeschnappt: Der Optimist irrt nicht seltener als der Pessimist – er hat nur mehr Freude dabei.
KN: Das Zitat gefällt mir!
CH: Optimismus hat immer so einen Beigeschmack, ein bisschen Naivität. Aber wir haben doch auch ein Problem, wenn wir uns nur auf das Negative stürzen und dabei aus dem Blick verlieren, dass wir als Gesellschaft die Zukunft auch in unseren Händen haben.
KN: Da hat man aus meiner Sicht auch als Arbeitgeber einen Auftrag.
CH: Auf jeden Fall! Ich bin davon überzeugt, dass wir die Gesellschaft mit beeinflussen können, indem wir die Individuen – in diesem Fall unsere Mitarbeitenden – beeinflussen. Wir arbeiten beispielsweise an neuen Ausbildungskonzepten, die agiler sind und nicht nur repetitiv. Eine andere Art zu denken und zu handeln wird dabei schon früh verinnerlicht.
KN: Gerade die junge Generation, die Gen Z, gilt ja als schwierig.
CH: Ja, zum Beispiel im Hinblick auf ihr Verhältnis zu Führung. Ich persönlich halte Kritik ja für etwas Positives. Natürlich hat jede Generation ihr eigenes Thema, aber am Ende geht es immer auch um einzelne Personas. Wenn wir als Führungskräfte unsere Mitarbeitenden so behandeln, wie wir auch selbst gerne behandelt werden würden, dann ist es egal, welcher Generation wir gegenüberstehen. Das war schon immer so und wird auch so bleiben.
KN: Da gehe ich mit! Ich würde zusammenfassen: Wir haben beide Lust auf Zukunft!
CH: Absolut, sonst wird man ja verrückt!
Christian Harms, Jahrgang 1975, begann seine Karriere bei dm im Jahr 1996 mit einem dualen Studium, das er als Diplom-Betriebswirt abschloss. Er war zunächst als Filialleiter auf der Fläche tätig, wurde dann Gebietsverantwortlicher und später Sortimentsverantwortlicher für Kosmetik. Seit 2008 ist er in der Geschäftsleitung für das Ressort Mitarbeiter zuständig und wurde Ende desselben Jahres in die Geschäftsführung berufen. Außerdem trägt er die Verantwortung für 290 Filialen, verteilt auf sieben Bundesländer von Baden-Württemberg bis Hamburg.