Der Mythos Lerntypen –
was ist dran an der Theorie?
Der Mythos Lerntypen –
was ist dran an der Theorie?
„Ich muss das selbst lesen, um es zu verstehen.“ „Warum versteht mein Kind die bunten Erklärvideos so gut, aber quält sich durch seine Schulbücher?“ „Wenn ich es einmal selbst ausprobiert habe, habe ich es verinnerlicht.“ Schon einmal gehört?
Lerntypen? Jede:r lernt anders
Während einige ihr Lernmaterial immer wieder durchlesen, oder die wichtigsten Inhalte für sich aufschreiben, schauen andere gerne Lernvideos, hören Podcasts oder reden leise vor sich hin. Für die eine funktioniert es so, für den anderen anders.
Möglicherweise liegt in dieser Beobachtung die Ursache dafür, dass sich die Theorien um die „Lerntypen“ so beharrlich in den Köpfen einiger Lernenden und aber auch Lehrenden halten. Eine der meist-zitierten Theorien dazu stammt von Frederic Vester aus dem Jahr 1975. Obwohl sie von der Wissenschaft als widerlegt gilt, wird seine Lerntypentheorie auch heute noch vielerorts erwähnt. Wieso bekommt diese Theorie immer noch so viel Aufmerksamkeit?
Vielleicht ist die Versuchung einfach zu groß, sich dem Versprechen vom einfachen Lernen und effektivem Lehren hinzugeben, indem man nur den jeweiligen Lerntyp kennt. Doch was steckt hinter Vesters Theorie?
Die Lerntypentheorie nach Vester
Die Hypothese von Frederic Vester besagt, dass jeder Mensch einen bestimmten Wahrnehmungskanal bevorzugt, um sich Wissen anzueignen. Wird der vom Lernenden präferierte Kanal angesprochen, soll das Lernen besonderen Erfolg erzielen. Für Vester existieren die folgenden vier Lerntypen:
Der auditive Lerntyp
Der auditive Lerntyp profitiert vom Anhören der Lerninhalte. Ideal sind Podcasts oder Videos, in denen viel erläutert, abgewogen und diskutiert wird. Beim Lesen von Büchern oder anderem Lernmaterial ist es hilfreich, wenn sich der auditive Lerntyp selbst vorliest – da Gehörtes besser verankert wird.
Der visuelle Lerntyp
Visuelle Lerntypen lernen am effektivsten durch das Betrachten von Lerninhalten. Das können Schaubilder, Grafiken oder Bewegtbild sein – aber auch Texte. Hier helfen Hervorhebungen, um sich Informationen bildlich einzuprägen.
Der haptische Lerntyp
Der haptische Lerntyp erzielt die besten Lernergebnisse, wenn er Vorgänge direkt selbst in der Praxis ausprobieren und anwenden kann. Lerninhalte sollten im besten Fall tatsächlich zum Anfassen sein. „Learning by doing“ bringt diese Herangehensweise auf den Punkt.
Der kognitive Lerntyp
Der kognitive Lerntyp, von Vester auch intellektueller Lerntyp genannt, prägt sich Inhalte ein, indem er darüber nachdenkt und versucht diese zu verstehen. Dadurch, dass er Informationen durchdringt und sich kritisch mit ihnen auseinandersetzt, bleiben ihm diese am besten im Gedächtnis.
Die Lerntypentheorie ist widersprüchlich in sich
Bereits die gewählte Aufteilung muss kritisch hinterfragt werden. Vielleicht fiel Ihnen beim Durchlesen bereits die vordergründige Unstimmigkeit in der Klassifizierung der Lernytpen auf.
Lediglich der vierte Lerntyp lernt laut Vester über seine kognitive Leistung, demnach durchdringt und versteht nur er die Lerninhalte. Die anderen drei Lerntypen lernen angeblich über das Sehen, Hören und Anfassen – also lediglich über Wahrnehmungskanäle. Diese sind zwar häufig geeignet, um einen Lernstoff bedürfnisgerecht zu aufzunehmen, doch für das Merken und Verstehen ist in jedem Fall eine Art kognitiver Leistung nötig. Die einzelnen Lernytpen sind also schwer miteinander zu vergleichen.
Weiterhin bleibt bis heute unbelegt, dass es tatsächlich zu einer Steigerung der Lerneffizienz führt, wenn Menschen passend zu ihrem eigenen „Lerntypus“ lernen. Nur weil eine Person beim Lernen schon immer viel gelesen hat und sich diese Herangehensweise für sie am natürlichsten anfühlt, bedeutet das nicht, dass sie dadurch effizienter oder erfolgreicher lernt.
Es gibt keine Lerntypen – aber verschiedene Kanäle
Die Beobachtung, dass Menschen auf verschiedene Arten lernen, steht aber weiterhin im Raum. Hier wollen wir noch einmal einhaken: Es ist unumstritten, dass Lernende individuelle Vorlieben haben. Das stützt sich aber keineswegs auf die Zuordnung zu einem bestimmten – erst recht nicht unverrückbaren – Lerntypen, sondern darauf, dass es unterschiedliche Stärken und Gewohnheiten gibt.
Eine Person, die gerne und schnell liest, sollte daher stets genauso von Lernangeboten angesprochen werden, wie ein Lernender, der eine Vorliebe für detaillierte Schaubilder hat. Für unsere Workshops, Seminare und Web Based Trainings bedeutet das beispielsweise, dass wir diese so ausrichten, dass verschiedene Sinne und Wahrnehmungskanäle angesprochen werden. Und zwar einander ergänzend. Denn auch jedes Stilmittel hat seine Stärken und ist für unterschiedliche Inhalte geeignet.
Lernen braucht Abwechslung
Was die Vester’sche Lerntypeneinteilung unserer Meinung nach zudem zu sehr außer Acht lässt: die „Abwechslung“. Und diese ist, so zeigt unsere Erfahrung, ein ausgesprochen wichtiger Faktor, wenn es um nachhaltigen Lernerfolg und Erkenntnisgewinn geht.
Um ein optimales Lernangebot zu erstellen, müssen zudem noch weitere Faktoren beachtet werden:
- Individuelle Vorlieben
- Der jeweilige Arbeitsalltag der Lernenden und dessen Anforderungen
- Die Lernumgebung (z. B. Großraumbüro/alleine oder in Teams etc.)
- Anforderungen der Inhalte (z.B. eignet sich nicht jeder Inhalt für eine anschauliche Grafik)
Wie kann Lernen dann nachhaltig gelingen?
Bei learn setzen wir darauf, die verschiedenen Lernbedürfnisse von Menschen zu erkennen und zu nutzen, um Interesse und Motivation zu wecken. Wir achten bei all unseren Lernangeboten darauf, die Lernenden mit ihrem individuellen Bedarf und den Anforderungen ihres Arbeitsalltags in den Fokus zu stellen. Wo holen wir die Zielgruppe ab? Was brauchen sie? Was wollen sie tatsächlich lernen?
So wird mit mehrdimensionalen Lernangeboten ermöglicht, konzentriert und mit Freude zu lernen – egal ob im Präsenztraining oder im E-Learning.